Medien


Honza klatscht
Honza Klein interviewt Bernd Oertwig für Hauptstadt TV
19. März 2020



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Neues Deutschland
10. März 2020

Durch ein Loch in der Decke schauen
Hauptstadt-Tratsch: Der Ex-Boulevard-Journalist Bernd Oertwig beschäftigt sich mit »Berliner Schicksalen«

Von Stefan Malta 

Ein Berliner Heimat- und Friedhofsbuch (was durchaus zwei verschiedene Dinge sind), geschaffen von dem ehemaligen »B.Z.«- und »Bild«-Journalisten Bernd Oertwig. Da kann man drin blättern und dann klatschen und tratschen, auf die interessante Art. Es geht hier um »Berliner Schicksale« wie den sich in Abend- und Kneipengesellschaften monologisierend zu Tode trinkenden Malerfürsten George Grosz oder die von der Tuberkulose dahingeraffte Tänzerin Anita Berber, die »Göttin der Nacht« der 1920er Jahre. Oertwig berichtet von Ernst und Erich Loevy, dem Enkel von Samuel Abraham Loevy, der einmal die größte und bekannteste Bronzegießerei Berlins besaß. Sie fertigte 1916 den Schriftzug »Dem deutschen Volke« für das Reichstagsgebäude an. Unter den Nazis wurde die Firma zwangsverkauft und Ernst und Erich Loevy wurden umgebracht.

Oertwig erzählt auch von Bruno Schmitz, dem Star-Architekten von Wilhelm II., der sich mit dem Pressechef des Auswärtigen Amtes, Otto Hermann, einen öffentlichen Verleumdungskrieg liefert, bei dem es um die Ehefrau Lucia Schmitz geht, die Hermann liebt - Bruno Schmitz lässt die beiden beobachten, zum Beispiel durch ein Loch in der Decke, das er in der Wohnung unter der von Hermann bohren ließ. Vor Gericht hilft ihm das wenig, und er stirbt enttäuscht und gestresst an einem Herzinfarkt.

Der betrunkene Ex-Box-Europameister Bubi Scholz hingegen erschießt 1984 seine Frau Helga durch die geschlossene Tür vom Klo, wohin sie sich nach einem Streit mit dem früher sehr erfolgreichen Berufsboxer geflüchtet hat. Sie stirbt durch einen einzigen Schuss, weil sie vor der Tür steht und nicht auf der Toilette sitzt, wie Scholz anscheinend angenommen hat. Er kommt dafür drei Jahre ins Gefängnis - und nie wieder raus aus seinen Depressionen.

Und dann gibt es noch diesen bizarren Selbstmord von Charlotte Stieglitz am Neujahrstag 1835: Sie bringt sich um, damit ihr erfolgloser Dichter-Ehemann Heinrich Stieglitz aus Verzweiflung Kunst schaffen möge, um endlich der große Schriftsteller zu werden, der er schon immer sein wollte. Doch er schafft es nicht, ihm fällt auch weiterhin nichts ein, außer einer »Poesie-Mischung aus Goethe, Orient, Patriotismus und Schwärmertum«, wie Oertwig seinen Stil beschreibt. In diesem Fall gilt der alte Spruch von Jürgen Wegmann, dem Ex-Mittelstürmer des FC Bayern: »Zuerst hatten wir kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu.«




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Hans Helmut Prinzler

16 Männer und Frauen werden von dem Journalisten Bernd Oertwig porträtiert, die in Berlin gelebt haben und auf ungewöhnliche Weise gestorben sind. Die Tänzerin und Schau-spielerin Anita Berber, „die wildeste Frau der Weimarer Republik“, erlag mit 29 Jahren ihrer Tuberkulose-Erkrankung. Die Buchhändlerin Antoinette Weiß starb im Alter von 27 Jahren und wurde 1805 auf dem Friedhof am Oranienburger Tor begraben. Ihr Mann bezahlte die Grabstelle für 100 Jahre. Als der Friedhof 1902 geschlossen wurde, verweigerte die Familie eine Umbettung. Der Architekt Bruno Schmitz wurde in einen der prominentesten Ehebruchs-Skandale des Kaiserreichs verwickelt. Der Boxer Bubi Scholz erschoss im Rausch seine Frau Helga, musste für drei Jahre ins Gefängnis und starb dement im Sommer 2000. Charlotte Stieglitz, Ehefrau des Dichters Heinrich Stieglitz, erstach sich 1834 im Alter von 28 Jahren mit einem Dolch. Der Architekt und Widerstands-kämpfer Erich Gloeden wurde 1944 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Den zwanzigjährigen Gefreiten Fritz Will erschlug am 14. August 1889 im Tiergarten ein Blitz. Der Maler und Grafiker George Grosz musste in der Weimarer Republik zahlreiche Prozesse überstehen, emigrierte 1933 in die USA und starb 1959 nach einem Treppensturz in Berlin. Der Fotograf Helmut Newton starb 83jährig nach einem selbst verschuldeten Verkehrsunfall in Los Angeles. Karl Ludwig von Hinckeldey wurde 1848 Polizeipräsident von Berlin und verlor 1856 ein Pistolenduell. Kühnemund von Arnim, Sohn von Bettina und Achim von Arnim, starb 1835 18jährig nach einem Kopfsprung in die Spree. Der Philosoph Max Stirner wurde 1856 das Opfer eines Insektenstichs. Die Pilotin Melli Beese erschoss sich 1925 morphiumsüchtig. Der Verleger und Kunsthändler Paul Cassirer starb 1926 an den Folgen eines Suizidversuchs. Die Schauspielerin Renate Müller fiel 1937 angetrunken aus dem ersten Stock ihrer Villa in Berlin-Dahlem. Der russische Jurist Wladimir Dmitrijewitsch Nabokow wurde 1922 in Berlin bei einem Attentat erschossen. Der Autor porträtiert die genannten 16 Personen auf anschauliche Weise, informiert detailliert über ihr Ende und ihre Bestattung. Spannende Lektüre. Mit Abbildungen.

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Ossietzky
Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
25. Januar 2020

Manfred Orlick
Sechzehn außergewöhnliche Berliner Porträts

Für den Berliner Journalisten Bernd Oertwig "wachsen aus den Steinen der Stadt Geschichten". Sie erzählen von menschlichen Schicksalen. Wenn Oertwig die Neugierde durch die Stadt treibt, stolpert er bei seinen Spaziergängen geradezu über Gedenk- oder Grabsteine, die ihm eine Geschichte erzählen. Oft gehen diese Geschichten dann lange mit ihm spazieren, bis ihre Zeit gekommen ist, sie niederzuschreiben.
In seinem Buch "Berühmte Tote leben ewig" porträtiert Oertwig sechzehn Frauen und Männer, die in Berlin lebten und auf nicht ganz gewöhnliche Weise starben. Den Auftakt macht Anita Berger, die wohl "wildeste Frau der Weimarer Republik". Die Tänzerin, die in Bars und Nachtlokalen auftritt, ist Sinnbild des weiblichen Bohemiens der 1920er Jahre. Mitunter springt sie wütend ins Publikum, das nur auf ihre Nacktheit glotzt, während sie mit ihrem Tanz ernste Themen ansprechen will. 1927 unternimmt sie mit ihrem Ehemann eine Tournee durch den Nahen Osten, die sie nach einem Jahr abbrechen muss. Vier schlimme Monate quält sich Anita zurück und stirbt am 10. November 1928 in Berlin.
Die zweite Geschichte, "Liebe über den Tod hinaus", erzählt von einer außergewöhnlichen Verbundenheit. Als der Kunsthändler Gaspare Weiß 1805 seine heißgeliebte Frau Antoinette nach sechs Ehejahren verliert, kauft er ihre Grabstelle auf dem kleinen katholischen Friedhof an der Chausseestraße für hundert Jahre. Eine kleine Ewigkeit. Doch Berlin wächst im 19. Jahrhundert unaufhörlich, Bauland ist gefragt. Auf dem Friedhofsgelände siedelt sich unter anderem ein Droschkenunternehmen an. Doch Vertrag ist Vertrag. So entsteht buchstäblich um das Grab herum eine Musikalienhandlung, mitten in der Lesehalle der Grabstein, der täglich von einer greisen Enkelin aufgesucht wird. Nach der Liegefrist wird der Grabstein nach Reinickendorf umgesetzt, doch seit September 2007 steht er fast wieder dort, wo er früher stand.
August 1889: Berlin erwartet »allerhöchsten Besuch«. Kaiser Wilhelm II. hat den österreichischen Kaiser Franz Joseph I. für vier Tage eingeladen. Als die beiden Monarchen eine Truppenübung besuchen, zieht ein Gewitter auf, und der 20-jährige Gefreite Fritz Will wird vom Blitz erschlagen. Ob die kaiserlichen Hoheiten von dem Unglück Notiz genommen haben, ist nicht überliefert. Noch heute erinnert ein Gedenkstein in der John-Foster-Dulles-Allee im Berliner Tiergarten an den jungen Soldaten.
Dagegen berichtet ein Kreuz direkt neben einer Berliner Autobahn (früher Kurt-Schumacher-Damm) von dem ehemaligen Generalpolizeidirektor Karl Ludwig von Hinckeldey (1805-1856). Friedrich Wilhelm IV. vertraut dem ehrgeizigen und rücksichtslosen Hinckeldey; doch als dieser seinen König dringend braucht, hat der Regent taube Ohren. Nach einer Razzia in einer der edelsten Berliner Spielhallen wird Hinckeldey von dem Club-Besitzer Hans von Rochow als Lügner beschimpft - es kommt zum Duell. Ein Wort des Königs hätte genügt, den gesetzwidrigen Zweikampf zu verbieten. Aber Ihre Majestät schweigt. Am 10. März 1856 wird Hinckeldey, der "uff zwölf Schritte keen Scheunentor" treffen kann, tödlich getroffen. Daraufhin macht in Berlin das Gerücht vom politischen Mord die Runde.
Neben diesen eher unbekannten Berlinern ist Oertwig auch auf den Spuren von Berlinern, deren Name noch heute in aller Munde ist. Wie Bubi Scholz, der in den 1950erund 1960er Jahren unbestritten die Nummer eins im deutschen Box-Geschäft ist. Nach einer Tuberkuloseerkrankung scheint seine Karriere beendet zu sein, aber nach zwei Jahren steht er wieder im Ring. Doch Alkohol und die Droge Popularität hinterlassen ihre Spuren. Alkohol ist auch im Spiel, als er im Juli 1984 seine Frau Helga erschießt. Wegen fahrlässiger Tötung wird er zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Obwohl er 1993 noch einmal heiratet, er ist ein geschlagener Mann. Mehrere Schlaganfälle, Altersdemenz - Bubi Scholz stirbt am 21. August 2000.
Der weltberühmte Fotograf Helmut Newton ein Berliner? Natürlich: als Helmut Neustädter 1920 in Berlin geboren. Eine Gedenktafel am Geburtshaus in Berlin-Schöneberg erinnert daran. Ende 1938 flüchtet er vor den Nazis nach Singapur, später nach Australien. In den 1970er Jahren wird Newton einer der begehrtesten und höchstdotierten Mode-, Werbe-, Porträt- und Aktfotografen der Welt. Er stirbt 2004 bei einem Autounfall in Los Angeles, doch beigesetzt wird er in seiner Geburtsstadt auf dem Friedhof Stubenrauchstraße.
Dann wird es mit Melli Beese und Renate Müller noch einmal weiblich. Eigentlich will Amelie Hedwig Beese Bildhauerin werden, bis sie der Traum vom Fliegen packt. Wenig später wird sie als erste Frau in Deutschland den Privatpilotenschein erwerben. In den folgenden Jahren stellt sie einige Frauenflugrekorde auf und gründet die Flugschule Melli Beese GmbH. Nach dem Kriegsende der schwierige Neuanfang, und der Lorbeer ist verblasst. Als sie ihre Fluglizenz erneuern muss, endet das mit einer Bruchlandung. Am 21. Dezember 1925 erschießt sich Melli Beese in ihrer Wohnung. Neben ihr findet man einen Zettel: "Fliegen ist notwendig. Leben nicht."
An einem Septembertag im Jahr 1937 wird eine Frau bewusstlos auf ihrer Gartenterrasse gefunden. Es ist Renate Müller, der Star des deutschen Films in den 1930er Jahren. Sie stirbt zwei Wochen später an ihren schweren Verletzungen. Unfall oder Selbstmord? Was folgt, sind Mutmaßungen. Wurde sie von der Gestapo verfolgt, schließlich hatte sie eine Beziehung zu einem jüdischen Bankierssohn. Alle geplanten Filme werden mit anderen Schauspielern besetzt. Blieb ihr nur der eine Ausweg?
Über den sechzehn unterhaltsamen Porträts schwebt das Motto: Ein aufsehenerregender Tod oder skurrile Vorfälle mit den sterblichen Überresten oder dem Grabstein sind die halbe Miete für die Ewigkeit.
Bernd Oertwig: "Berühmte Tote leben ewig - Berliner Schicksale",
Verlag für Berlin-Brandenburg, 304 Seiten, 19,90 €

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BZ am Sonntag, 24.11.2019 / Buch der Woche

Dolch in den Oberkörper

"Mit völlig sicherer Hand stößt sie sich den Dolch in den Oberkörper. Charlotte zieht die Waffe aus dem Leib und legt sie neben sich ins Bett." Es gibt blutige Geschichten (wie die von Dichter-Gattin Charlotte Stieglitz) über Berliner Künstler zu erzählen. In "Berühmte Tote leben ewig" portraitiert Bernd Oertwig 16 Frauen und Männer, u.a. Tänzerin Anita Berber und Maler George Grosz. Mal schlau, mal schaurig.
"Berühmte Tote leben ewig",
Bernd Oertwig,
19.90 Euro

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DER TAGESSPIEGEL, 14.11.2019 / BERLINALIEN

Wie der Garde-Ulan Fritz Will
durch einen Blitzschlag zu Tode kam

Von Andreas Conrad

 Am Südufer der Krummen Lanke, nahe der Badestelle im Nordosten, erinnert ein Gedenkstein daran, dass hier am 20. Juli 1928 der Polizei-Wachtmeister Fritz Göhrs vom Berittenen Depot Grunewald im Dienst gestorben sei. Generationen von Erholungssuchenden werden sich gefragt haben, was dem Beamten wohl zugestoßen sein mag – früher ein nur mit Geduld lösbares Rätsel, heute genügt ein Blick ins Internet: Demnach war Göhrs Pferd durchgegangen, hatte ihn in den See abgeworfen, woraufhin er ertrank.
Das ist keine von Bernd Oertwig in seinem Buch „Berühmte Tote leben ewig“ erzählte Geschichte, eine mögliche wäre es wohl gewesen. „Kaum denkbar, in Berlin nicht über Merkwürdigkeiten zu stolpern“, schreibt er – Splitter von Schicksalen, an denen sich seine Neugier entzündet.
Wie am Nordrand des Tiergartens der Gedenkstein für Fritz Will, Gefreiter des 2. Garde-Ulanen-Regiments, der dort am 14. August 1889 den Tod fand. Er hatte an den militärischen Übungen zum Besuch von Kaiser Franz Joseph I. teilgenommen und war beim Rückweg in die Kaserne vom Blitz erschlagen worden.
Es sind also nicht nur „berühmte Tote“, deren Schicksal Oertwig in 16 kurzen biografischen Texten in Erinnerung ruft. Gemeinsam ist ihnen allen eines: „Sie starben auf ungewöhnliche Art.“ Etwa durch ein Duell wie Polizeipräsident Karl Ludwig von Hinckeldey, ein miserabler, kurzsichtiger Schütze, der am 10. März 1856 von dem Premierleutnant Hans von Rochow in einem Ehrenhandel zu Tode kam.
Manches Rätselhafte muss in den spannenden Geschichten, zur Tänzerin Anita Berber etwa, der Fliegerin Melli Beese oder Boxer Bubi Scholz, offenbleiben. Der Sturz des weitgehend vergessenen Ufa-Stars Renate Müller aus ihrer Villa – Unfall oder versuchter Suizid? Und hat Goebbels wirklich versucht, sie mit Hitler zu verkuppeln, wie ihre Mutter und ihre Schwester behaupteten? Auch Oertwig muss da passen.

Bernd Oertwig:
Berühmte Tote leben ewig.
Berliner Schicksale.
Verlag für Berlin-Brandenburg. 304 S., 68 Abb., 19,90 Euro.
Am 8.12., 14 Uhr, gibt es mit dem Autor
eine Literarische Führung auf dem Friedhof
Heerstraße. Treffpunkt: Eingang Trakehner Allee 1; ca. 1,5 h, Eintritt frei.
Anmeldung unter Tel. 70223406 oder info@verlagberlinbrandenburg.de, Stichwort: Friedhof,
in Kooperation mit Otto Berg Bestattungen



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Berliner Zeitung, 31.10.2019
Kolumne von Andreas Kurtz


BERND OERTWIG
hat sich eines dieser universellen Themen für sein Buch ausgesucht. Sterben muss nämlich jeder. Der Autor spricht mit dem Buchtitel „Berühmte Tote leben ewig – Berliner Schicksale“ also ein weit verbreitetes, ganz natürliches Interesse an. Mal geht es im Buch um besondere Umstände des Sterbens, mal um das Grab. Es gibt Kapitel über den Boxer Bubi Scholz, den Maler George Grosz, den Fotografen Helmut Newton, die Pilotin Melli Beese, den Galeristen Paul Cassirer, die Tänzerin Anita Berber und andere. Ob Oertwig nach der Beschäftigung mit dem Tod sein Testament und die Festlegungen für seine Trauerfeier verändert hat? „Tatsächlich habe ich nach dem Buch mein Testament überprüft und aktualisiert. In die Trauerfeier mische ich mich lieber nicht ein.“ Sein Verhältnis zum eigenen Tod bezeichnet er als „neugierig, verbunden mit der Hoffnung auf Schmerzlosigkeit“.
In seinem Buch, aus dem er an diesem Donnerstag um 19.30 Uhr in der Bibliothek Buch (Wiltbergstraße 21) lesen wird, gibt es Interessantes, Skurriles und Aufwühlendes. Oertwig selbst fand eine Geschichte besonders beeindruckend: „Die Haltung der Ehefrau und der Schwiegermutter von Erich Gloeden in der Verhandlung vor Freislers Volksgerichtshof, als beide nach dem Urteil gegen Gloeden aufstanden und sich schuldig sprachen, um ihn nicht allein in den Tod gehen zu lassen.“


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DER TAGESSPIEGEL, Checkpoint für Charlottenburg/Wilmersdorf, 6.9.2019
Autor: Cay Dobberke

- NACHBARSCHAFT -

Bernd Oertwig, Schriftsteller und Journalist, berndoertwig.de

Seinen 70. Geburtstag hat Bernd Oertwig am Donnerstag unter anderem in einem seiner Stammlokale, dem Diener Tattersall in der Grolmanstraße, gefeiert. Wir gratulieren! Der gebürtige Spandauer wohnt seit vielen Jahren in Charlottenburg, allerdings nicht in der Umgebung des „Diener“ am Savignyplatz, sondern nahe dem Schloss. „Ich liebt diesen Kiez, weil es hier eine unglaubliche Mischung gibt“, sagt er. Selbst unter den türkischen Händlern rund um den Klausenerplatz habe sich die Lebensart des „bürgerlichen Charlottenburgs“ durchgesetzt. Als gute Restaurants in seiner Gegend empfiehlt Oertwig das Opera Italiana am Spandauer Damm, die Trattoria Fra Diavolo an der Neufertstraße und die griechische Taverna Elena in der Gierkezeile. An der Spree entlang radelt er gerne mit seiner Frau.

Oertwig liebt das Schreiben. „Ich wollte unbedingt zur Zeitung, erzählt er. Nach einem Volontariat in Niedersachsen wurde er unter anderem Sportreporter, Lokalchef sowie Politik- und Nachrichtenchef bei der „BZ“, für die er nach dem Mauerfall auch ein Ost-Berliner Büro leitete. Auch für die „Bild“-Zeitung berichtete er in führender Position aus den neuen Bundesländern. Beim Radiosender 94,3 rs2 war er Chefredakteur.

Doch damit nicht genug. Bernd Oertwig schrieb auch für das „Berliner Lindenblatt“ über die Stadtgeschichte, gründete zusammen mit seiner damaligen Ehefrau eine Fotoagentur und verfasste Bücher. In diesen stellte er beispielsweise die einst berüchtigten Verbrecher der „Gladow-Bande“ oder auch den Berliner Radiomoderator Rik DeLisle (bekannt als „der alte Ami“) vor. Derzeit arbeitet Oertwig an seinem neuen Buch Berühmte Tote leben ewig. Berliner Schicksale (Verlag für Berlin-Brandenburg), das er am 11. Oktober ab 20 Uhr in der Marga Schöller Bücherstube an der Knesebeckstraße 33 vorstellen will. Es handelt von 16 mehr oder weniger prominenten Menschen, die in Berlin lebten und „auf nicht ganz gewöhnliche Weise starben“. Beispielsweise räumt das Buch mit dem verbreiteten Irrglauben auf, der Künstler George Grosz sei 1959 an einem Herzinfarkt gestorben. Nach Oertwigs Recherchen starb Grosz vielmehr, als er volltrunken aus dem „Diener“ kam und in seinem Wohnhaus die Treppe hinabstürzte.

Immer wieder das „Diener“. In diesem Lokal lernte Oertwig auch den geschäftsführenden Vizepräsidenten des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, kennen. Seitdem ist er der Organisation, die an das Grauen im NS-Konzentrationslager Auschwitz erinnert, eng verbunden. Aktuell unterstützt Oertwig das Komitee bei einer geplanten Ausstellung, die ab Januar 2020 zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz gezeigt werden soll und von Kindern handelt, die im KZ geboren wurden.

Vor dem Hintergrund seiner Gedenkarbeit und als früherer Berichterstatter aus den östlichen Bundesländern bedauert Oertwig die jüngsten Erfolge der AfD bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen: „Es macht Angst, dass jeder Vierte die Nazis gewählt hat.“ Andererseits „fällt mir ein Stein vom Herzen, dass sie nicht die stärkste Partei geworden sind“.

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